Foto von einem Mann im Raum mit einer Zeitung

Beschwichtigung und Mythen: Eine Presseschau

Der Januar ist traditionell karg und trist. Statt blühender Hanf-Landschaften klafft seit November ein großes Nachrichtenloch und das fertig ausgehandelte CanG kommt nicht zur Abstimmung in den Bundestag. Neben beständigem Ärger von der Community bringt aber erst ein SZ-Artikel Mitte Januar die Ampel in Erklärungsnot. Seitdem kriechen Kritiker und Prohibitionisten aus den Löchern und wärmen altbackene Phrasen, verzerrtes Halbwissen und Propagandahülsen auf. Es wirkt fast so, als würden sich einige Journalisten von den Pressemitteilungen der Verbotslobby dazu drängen lassen jetzt auch mal was “richtig knalliges” zum Thema Cannabis zu machen. Unterdessen bleiben konkrete Aussagen aus der Regierung Mangelware und sorgen so für eine unnötige Hängepartie in der Gesetzgebung. Wir geben euch einen aktuellen Überblick zu den Beiträgen der letzen Tage und Wochen.

Die Geschichte vom Lanin und dem Brainy

Den Auftakt macht Matthias Lanin im Nordkurier. Sein Kommentar “Werdet nicht wie die Brainys da draußen” kommt in der bekannten Manier des anekdotischen Jugenderinnerungsjournalismus daher. Denn wer hat nicht auch schon eigene – vielleicht verdrängte – Erfahrungen aus dem zarten Teenie-Alter zum Thema Drogen vorzuweisen, die dann in Form eines moralischen Schauermärchens ausreichend Beleg für die gesellschaftliche Läuterung darstellen können.

Doch von vorn: Matthias Lanin hat Cannabis unterschätzt. Doch ein Kinderarzt und Jugendschützer hat seinen Irrtum “ausgemerzt”: Jetzt meint Lanin die Wahrheit erkannt zu haben: Cannabis ist nicht weniger schlimm als Alkohol. Und eigentlich hätte er ja auch selbst darauf kommen können, hat er doch die mahnende Erinnerung an seine Jugend. In seiner Heimatstadt in Vorpommern hat er gern Basketball gespielt. Neben dem Spielfeld saß ein junger Mann, sie nannten ihn Brainy, der sich merkwürdig verhielt. Doch Brainy war nicht krank, er hatte keine “angeborene mentale Beeinträchtigung”. Dieser Brainy war ein “Cannabis-Opfer”, das sich sein Schicksal selbst “angeraucht” hatte. Unfähig zu vernünftigem Verhalten, krakelt Brainy Bilder auf den Asphalt, führt lallende Selbstgespräche und kann nicht sinnvoll auf Fragen antworten. Und deshalb, liebe Nordkurier-LeserInnen, sollt ihr nicht so wie die Brainys werden. Und auch deshalb, liebe Abgeordnete im Bundestag, sollt ihr Cannabis nicht für Menschen unter 25 Jahren freigeben.

Mehr Fragen als Antworten

Was ist hiervon zu halten? Lanin legt einen dichten Text vor, in dem er sich vom Saulus zum Paulus wandelt und mit neubekehrter Vehemenz gegen die Verharmlosung von Cannabis wettert. Dabei zeichnet er ein Bild, das mehr Fragen aufwirft, als dass es Antworten liefert:

  • Warum soll sich die geneigte Leserin vorstellen, wie “eine Gruppe Jugendlicher in der Blüte ihrer Kraft unter gleißenden Sonnenstrahlen zwischen Neubaublöcken Sport treibt”?
  • Warum wird hierzu der Kontrast zum kiffenden, sitzenden und lallenden Brainy aufgebaut? Hat Lanin nur sehr viel Spaß am Basketball-Spiel oder soll hier ein jugendlich-kraftstrotzend gesunder Volkskörper gegen das gefährliche Opfer-Täter-Kiffer-Gift gestellt werden?
  • Warum hat Brainy keinen richtigen Namen? Warum hat er keine Geschichte? Warum wird er auf sein selbstverschuldetes Opfer-Dasein reduziert?
  • Warum hat sich weder der jugendliche, noch der erwachsene Lanin gefragt, ob es noch andere Gründe für Brainys Verhalten geben könnte? Warum das Stigma des Drogenopfers?

In einer perversen Verdrehung macht Lanin seinen Brainy zu einer entmenschlichten Propaganda-Schablone, die als kranker Körper und Geist dann ausgerechnet dafür herhalten muss, für Gesundheit und Jugendschutz abschreckendes Beispiel zu sein. Das ist Pranger-Politik und kein Meinungsjournalismus.

Lanins Angst-Parabel flirtet mit völkischen Vorstellungen und trägt nicht dazu bei, eine sachliche Risikoaufklärung zu Drogenkonsum zu leisten. Sie stellt die Gefahr einer Substanz gegen eine andere – Cannabis gegen Alkohol. Und indem Alkohol in Lanins Text nur einmal erwähnt aber dann völlig ausgeklammert wird, macht er das genaue Gegenteil von Aufklärung. Er dämonisiert und entmenschlicht das Eine. Und er verschweigt und relativiert das Andere. Aber es ist auch hier so wie bei vielen anderen Geschichten aus lang vergangenen Jugendtagen, die durch das löchrige Gedächtnis dringen. Der Schleier des Vergessens schafft trügerische Erinnerungen und die Geschichte vom Brainy sagt vielleicht mehr über den Nordkurier als über Cannabis. Am Ende möchte man dem Publikum nur noch zurufen: “Werdet nicht so wie die Lanins da draußen!”

Das Zittern im Blätterwald

Es sind genau diese Geschichten, bei denen Polizei-Politiker und SPD-Quertreiber wie Sebastian Fiedler Beifall klatschen. Das selbstbestimmte Bürgerrecht von Erwachsenen wird ignoriert um mit Verbotsmythen Stimmung gegen die Legalisierung zu machen. Doch es gibt auch differenzierte Beiträge, freilich jeder auch mit eigener Agenda:

Die Frankfurter Rundschau sorgt sich um das “Down nach dem High” und lässt neben einem Arzt auch einen Suchtberater zu Wort kommen. Der Tenor ist einhellig auf der Seite der risikobetonten Vorsicht bei Konsum im Kinder- und Jugendalter. Und dagegen gibt es auch nichts auszusetzen. Leider lässt die Rundschau eine umfangreiche Betrachtung vermissen und führt lediglich eine isolierte Studie zu Hirnrindenveränderung an, stellt einen erhöhten THC-Gehalt bei illegalem Straßencannabis fest und will gleichzeitig keine erfolgreiche Schwarzmarktverdrängung in den USA erkennen. Immerhin wird die geplante Legalisierung als Chance für Enttabuisierung begriffen, um Aufklärung und den Zugang zu Beratung zu vereinfachen.

Auch die ZEIT widmet sich in einem ausführlichen Beitrag der Notwendigkeit für Hilfe- und Beratungsangebote sowie dem Risiko von Gehirnveränderungen bei Jugendkonsum und lässt prominente Mediziner und Forscher zu Wort kommen. Dass allerdings durch das geplante CanG “Jugendliche geradezu in die Cannabisabhängigkeit gedrängt” werden, darf man getrost bezweifeln. Total verballert hat sich Autorin Hannah Schultheiß jedoch nicht nur beim Titel, sondern auch bei widerlegten Behauptungen zur höheren Schädlichkeit von Cannabis im Vergleich zu Alkohol.

Stolz und Vorurteil

Das Ärzteblatt bereitet das Podium für den Chef der Bundesärztekammer: “Reinhard hofft auf Scheitern der Legalisierung von Cannabis”. Die Legalisierung von Cannabis hält Klaus Reinhard für eines der “überflüssigs­ten Gesetzesvorhaben überhaupt”. Auch hier wird auf die Hirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen abgestellt. Das die bisherige Verbotspolitik der berechtigten Sorge um gesundheitliche Risiken nicht im Ansatz gerecht wird, bleibt jedoch unerwähnt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach möge zwar “gute Absichten” haben, aber in der “individuellen Kommunikation” sieht der Ärztekammerchef noch Schwächen. Dem mag man zustimmen, denkt man zum Beispiel an die irritierende “Legal, aber”-Kampagne. Es drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass sich Reinhard mehr um seine eigene Rolle in der “individuellen Kommunikation” mit dem Ministerium sorgt, als um die gesundheitlichen Risiken in einem völlig unregulierten Drogenschwarzmarkt.

Das Pharma-Magazin Apotheke adhoc rekonstruiert die bisherige Verschleppung der Gesetzgebung und fragt: “Cannabis: Scheitert Lauterbach doch noch?”. Zu den internen SPD-Querelen und Terminverzögerungen bekommt der DHV-Geschäftsführer Georg Wurth Platz und Raum, um sich über “Plattitüden” und “Vertrauensverlust” auszulassen und fordert ein Ende des “Unrechts”. Etwas entspannter kommen Vertreter der Cannabis-Apotheken daher. Selbst mit einem Scheitern der Legalisierungspläne für den Freizeitkonsum könne man leben, solange es spürbare Erleichterungen beim Medizinalcannabis gebe.

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Constantin von der Groeben im Kommentar für den Tagesspiegel: “Den Worten jetzt Taten folgen lassen”. Der Demecan-Gründer zeigt sich enttäuscht vom bisherigen Gesetzgebungsverlauf und fordert mehr “Planungssicherheit” und faire Wettbewerbsbedingungen für die heimische Cannabiswirtschaft. Anstatt Medizin-Cannabis zu importieren, brauche es schnell einen “klaren Fahrplan für Säule 2”, damit “professionelle Hersteller und lizensierte Fachgeschäfte” den Freizeitkonsum abdecken können.

Die Ampel schlägt zurück

Die Vertreter der Regierungskoalition bleiben trotz wiederholter Beteuerung zum CanG weiter vage. Ein finales Datum im Sitzungsplan des Bundestags wurde noch nicht festgelegt. Das nährt natürlich die Spekulationen und sät weiter Zweifel an der vielzitierten Trendwende in der deutschen Drogenpolitik. Der Drogenbeauftragte Burkhard Blienert übt sich zuweilen in medialer Schadensbegrenzung und verteidigt nicht nur die Legalisierung von Cannabis, sondern fordert im Interview mit dem Merkur auch ein generelles Mindestalter von 18 Jahren für Alkohol. Gesundheitsminister Karl Lauterbach spricht bei ntv von Zuversicht am aktuellen Zeitplan für eine Umsetzung zum 01.04.2024 fest zu halten und sieht “vielversprechende Gespräche” innerhalb der Koalition. Auch die FDP-Abgeordnete Kerstin Lütke bleibt “zuversichtlich”, dass der bisherige Zeitplan eingehalten werde. Und Carmen Wegge lässt auf eine E-Mail Anfrage verlauten, dass einzelne Abweichler in der SPD-Fraktion der “Idee einer progressiven Drogenpolitik” nicht im Wege stünden.

All diese Positionen wurden schon mehr als einmal vorgebracht. Die Diskussion um das Für und Wider einer Legalisierung scheint erschöpft. Und mit Sicherheit würde es eine Vielzahl der aktuellen Beiträge gar nicht geben, wenn das Cannabis-Gesetz, wie vorgesehen, bereits am 01.01.2024 in Kraft getreten wäre. Natürlich bleiben wichtige Fragen in der deutschen Drogenpolitik vorerst weiter unbeantwortet. Und gerade zu den Folgen einer Cannabis-Legalisierung wird es erst in einigen Jahren erste Forschungsergebnisse geben. Bis dahin ist vieles Schall und Rauch und es bleibt zu hoffen, dass sich die Rufe für ein Beibehalten des Verbots genauso schnell verflüchtigen und nicht als kalter Dunst im Diskussionsraum zurückbleiben.

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