Foto aus dem Plenarsaal des Bundestages

Bundestag beschließt Cannabis Gesetz

Heute wurde Geschichte geschrieben. Erstmals seit der Apollo-Mission von 1972 ist eine Raumsonde auf dem Erdtrabanten gelandet. Die Ampel-Regierung hat zwar keine Mondlandung vollbracht, aber immerhin ist der Startschuss für einen besseren Umgang mit Cannabis geglückt. Mit 404 Ja-Stimmen gegen 226 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen, hat das Gesetz eine deutliche Mehrheit erhalten.

Es ist ein historisches Ergebnis für die Drogenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Nach vielen Verzögerungen hat der Bundestag einer Teil-Legalisierung von Cannabis zugestimmt. Erst vor wenigen Tagen wurde die Abstimmung noch schnell zwischen die Tagesordnungspunkte zu Prostitution und Deutschkurse gezwungen.

Im Plenarsaal verlief die Diskussion zwischen den Fraktionen erwartbar emotional. Mehrfach musste die Sitzungsleitung mehr Ruhe und Sachlichkeit einfordern. Grundsätzliche Überraschungen gab es indes nicht. In den thematischen Schwerpunkten zeigte sich eine Wiederholung der ersten Lesung vom November 2023. Die Deutsche Cannabispolitik ist weiter in der Dauerschleife.

Strafverfahren ruinieren Menschenleben

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach sich zur Eröffnung der Debatte erneut für das Vorhaben aus und nannte das CanG ein „sehr wichtiges Gesetz“, was die Cannabis-Kontrollpolitik grundlegend verbessern werde. Die aktuelle Lage sei in Anbetracht steigender Konsumzahlen und einer ausschließlichen Versorgung durch den Schwarzmarkt nicht zufriedenstellend. Der Gesundheitsminister mahnte, dass es „nicht so bleiben kann wie es ist“ und dass eine Politik, die den Kopf in den Sand steckt, keine Probleme löst. Lauterbach ist bekanntermaßen selbst viele Jahre ein Gegner der Legalisierung gewesen, aber die Ergebnisse der Wissenschaft würden einen Paradigmenwechsel notwendig machen: „die Suchtforscher zeigen uns den Weg. Wir müssen weg von Bestrafung und Tabuisierung“. Natürlich bringe das Gesetz auch einen riesigen Aufwand für Bürokratie und Kontrolle, aber die jährlich über 180.000 Strafverfahren wegen Cannabis ruinierten das Leben vieler Menschen. “Wir haben sie ins offene Messer laufen lassen, in den Schwarzmarkt gedrängt und dann dafür bestraft“. 

Die Kurzintervention von AFD und CDU nach den Ursachen von Drogenkonsum und Schutz von Kindern und Jugendlichen beantwortete Lauterbach mit einem Fokus auf Aufklärung und dem vernünftigen Umgang mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Es helfe nicht, die Dinge zu polemisieren und sich so zu verhalten, als wäre man in einem Schülerparlament

Regeln, Recht und Ordnung

Simone Borchert (CDU), nannte das CanG völlig „unnötig“ und verwies auf drängende Reformen für Krankenhäuser und Pflege. Mehr als 2000 Drogentote und steigende Konsumzahlen würden durch das Gesetzesvorhaben nicht besser. Überdies hätten Experten einhellig gewarnt, dass Konsum von Cannabis Depression und Suizid fördere. Borchert sieht einen „Kontrollverlust und Freigabe für Dealer“ und bemängelt die fehlende Verfügbarkeit von legalem Cannabis ab 01. April 2024. Das Gesetz sein ein „Konjunkturprogramm für den Schwarzmarkt“ und die Präventionsbeauftragen der Anbauvereine sollten besser in der kommunalen Gesundheitsversorgung eingesetzt werden. Die CDU-Abgeordnete prophezeit, dass bald hinter jedem Schulhof legal Cannabis geraucht werden könne und warf der Ampel-Regierung vor, Ideologie-Politik zu betreiben. Nach ihrer Ansicht wollen die Menschen kein Cannabis, sondern „Regeln, Recht und Ordnung“.

Meilenstein vernünftiger Drogenpolitik

Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), die Ärztin und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses befürwortete das Gesetz, da es neben gesundheitlichen Verbessrungen auch den Kinder- und Jugendschutzes stärke. Vor dem Hintergrund eines allgemein steigenden Konsums, kämen Kinder und Jugendliche heute „ganz leicht an jeder Ecke an Cannabis“. Das könne nicht so bleiben. Für Kappert-Gonther verschärft die Kriminalisierung das Problem, da niemand weiß, was im illegalen Cannabis drin ist und Schwarzmarktprodukte häufig kontaminiert seien. Kontrollierter Eigenanbau und Abgabe in Vereinen fördern aus ihrer Sicht die Sicherheit und Prävention und wer glaube, dass „Prohibition irgendetwas mit Jugendschutz zu tun hat, der hat schon lange Zeit keinen Fuß mehr in eine Schule gesetzt“. Das Gesetz könne zwar nicht alle Probleme lösen, sei aber ein wichtiger Meilenstein in der vernunftgeleiteten Drogenpolitik.

Konjunktur für Demokratiefeindlichkeit

Jörg Schneider (AFD), sprach sich nicht gänzlich gegen Cannabis aus. Bezweifelte aber, dass das Gesetz seine Ziele erreichen wird. Denn wenn der Besitz ab 01.04. legal werde, würde dies die Nachfrage befeuern, die vorerst nicht mit legalem Cannabis gedeckt werden könne: „Wir werden erleben, dass der Schwarzmarkt boomt und dass das, was man dort kaufen kann, noch dreckiger und ungesünder ist“. Das gesamte Vorhaben sieht der europaskeptische AFD-Mann durch EU-Regeln behindert, die eine komplette Freigabe verbieten. Schuld daran sei die EU, deren Regeln in „Stein gemeißelt“ seien und „in alle Ewigkeit gelten“ würden. Schneider bezeichnete die EU als „demokratiefeindlich“ und für „schädlich“ für die Bürger. Genau wie die Union, sieht er im CanG ein „Konjunkturprogramm für das organisierte Verbrechen“.

Hoffen auf Säule 2

Kristine Lütke (FDP), befürwortete erneut das Gesetzesvorhaben und nannte es einen „historischen Paradigmenwechsel“, der von der Prohibition zu einen Cannabis-Umgang führe, der „der Realität entspricht“. Cannabis sei die meist konsumierte Droge in Deutschland. Auch in den Straßen von Bayern und Baden-Württemberg. Die einzige Quelle hierfür sei bisher der Schwarzmark, ohne das Konsumenten wissen, was drin ist. Lütke betonte die Notwendigkeit für einen legalen Konsum und einen gestärkten Kinder- und Jugendschutz. Eigenanbau und Anbauvereine sollen für mehr Sicherheit der Konsumenten sorgen.

Damit hätten es auch Schwarzmarkt und Dealer schwerer, am Kunden zu kommen und andere, gefährliche Drogen zu verkaufen. Bereits die Debatte über das Gesetz zeige, dass Normalisierung und Enttabuisierung die Aufklärung fördert. Denn nicht nur Eltern und Lehrer wissen jetzt schon mehr über Cannabis als vorher, sondern auch die Politiker im Bundestag. Das Gesamtvorhaben sei jedoch noch nicht abgeschlossen: „Wir hoffen auf Verhandlungen zu Säule 2 und ruhen uns nicht auf dem Erreichten aus“. Deutschland müsse ein Modell nach kanadischem Vorbild einführen.

Ihr seid keine Kriminellen

Heike Baehrens (SPD), die gesundheitspolitische Sprecherin der Sozialdemokraten durfte anstelle von Carmen Wegge sprechen und stellte fest, dass zu Recht leidenschaftlich über das Thema diskutiert werde. In Richtung CDU und AFD gewandt, frage sie, warum man sich damit zufrieden gebe, „einfach nur zu bestrafen“, obwohl das nachweislich keine Erfolge bringe. Baehrens verglich die Blockadehaltung der Verbotspolitik mit den drei Affen: „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“. Damit sei es nun vorbei, denn das Gesetz rücke die Wissenschaft und den Gesundheitsschutz in das Zentrum der deutschen Cannabis-Politik. Kiffen unter 18 Jahren bleibe weiter verboten und Schwarzmarkt-Dealer würden härter bestraft. Dafür sollen Suchthilfe und Beratung weiter ausgebaut werden. Das Thema müsse aus der Tabuzone geholt werden und eine Politikänderung sei schon lange überfällig.

Am Ende wandte sie sich nochmals an alle Erwachsenen Konsumenten. „Wir sehen eure Probleme und wir wissen um die Ungerechtigkeit, die ihr seit 50 Jahren durch Diskriminierung und Kriminalisierung erfahren habt. Ich sage euch hier und heute ganz klar: ihr seid für uns keine Kriminellen“.

Der Richterbund ist blöd

Axel Müler (CDU), bezichtigte die Ampel der Klientelpolitik und versuchte sich am Vergleich zwischen Cannabis zu Alkohol. Es gebe zwar ein deutsches Reinheitsgebot, aber 10 Flaschen Bier am Tag seien schädlich. Außerdem brachte Müller seine ganz persönliche Erfahrung in das Thema ein: „In meiner langen Zeit als Strafrichter habe ich viele Menschen kennengelernt, deren Leben von Cannabis zerstört wurde“. Welchen Anteil die Strafjustiz daran hatte, wurde von ihm jedoch nicht ausgeführt. Ähnlich wie seine CDU-Parteikollegin, forderte Müller mehr Prävention und skizzierte ein Bild in dem „bis zu 50 Joints am Tag“ zur allgemeinen Konsumnormalität für alle Menschen in Deutschland würden.

Außerdem beklagte er sich über eine Politik, die Strafen abschaffe, nur „weil es gerade Mode“ sei. Der Jurist meinte, dass viele Länder das Justizsystem Deutschlands beneiden würden und dieses in Gefahr gerate, wenn nun durch das CanG über „300.000 Altfälle“ erneut überprüft werden müssten. Einer Kurzintervention der FDP zur Frage des Mehraufwands für Gerichte konnte Müller nicht folgen, denn wenn die Amnestieregelung für verurteilten Konsum nicht zu mehr Arbeit führen würden, dann würden sich Lobbyverbände nicht beschweren: „Dann ist der Richterbund blöd, die Staatsanwaltschaften sind blöd und auch die Innenminister“.

Rauschmittel bei REWE

Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen), für die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen zeige die bisherige Diskussion vor allem, dass „Veränderung schwer ist“ und bisherige Verbote ihre Ziele nicht erreicht haben. Es gebe sehr viele Probleme mit dem Gesundheitsschutz und auch mit einer Teil-Legalisierung sei Cannabis keine Droge für junge Menschen. Den 4,9 Millionen Konsumenten wäre es jedoch nicht weiter zuzumuten, auf dem Schwarzmarkt einzukaufen und von Dealern abhängig zu sein, die ungeprüftes Cannabis mit Verunreinigungen verkaufen.

Daneben gebe es viele legale „Rauschmittel, die man einfach so bei REWE kaufen kann“, dort habe man jedoch Informationen zu Inhaltsstoffen und Regulation. Es wäre unvorstellbar, wenn man Konsumenten von Alkohol ähnlichen Bedingungen aussetzte wie denen von Cannabis: „Gehen Sie mal auf’s Oktoberfest und stellen sie sich vor, dass alle diese Menschen dort auf den Schwarzmarkt angewiesen wären“. Deutschland brauche nicht mehr, sondern weniger Schwarzmarkt. Daher sollten auch die Modellvorhaben von Säule 2 als nächster Schritt folgen.

Kotzhügel und Kinder

Ates Gürpinar (Die Linke), sieht einen enormem Schritt mit der Entkriminalisierung. Nicht das Gesetz selbst, sondern die Reaktionen der Konservativen würden dies zeigen. Engagiert kritisierte er die „Unwahrheiten, Wirbelsäulenakrobatik und das abenteuerliche Schüren von Ängsten“ aus den Reihen der Union und AFD. Der Verweis auf die überhöhte Gefahr von Cannabis sei in Anbetracht von betreutem Trinken ab 14 Jahren, Kotzhügel auf dem Oktoberfest und Bundeswehr an den Schulen „daneben, unehrlich und falsch”. Statt Angst und Doppelmoral sollte eine vernünftige Drogenpolitik besser auf Prävention und Schutz setzen und damit auch Erwachsenen mehr Sicherheit für den Konsum verschaffen.

Gürpinar sieht aber auch die Ampel-Koalition in der Bringpflicht, denn anstelle einer kompletten Legalisierung, gebe es nun nur noch eine „sehr bürokratische Entkriminalisierung“. Die Hürden für den legalen Anbau und auch für die Vereine seien zu hoch und damit würde der Schwarzmark weiter an Relevanz behalten. Die „Hasenfüßigkeit“ der Ampel spiele den Prohibitionisten in die Hände, daher brauche es „sofort eine gescheite 2. Säule der Legalisierung.“ Zum Schluß appellierte der linke Drogenpolitiker mit Nachdruck: “Scheitern Sie nicht!”. 

Neue Chancen

Dirk Wiese (SPD), kritisierte ebenfalls die verfehlte Drogenpolitik der Vergangenheit und wagte den blick in andere Länder mit erfolgreichen Modellversuchen. Die Ampel habe schwer um das Gesetz gerungen und viele Punkte auf den letzten Metern angepasst. Auch Nachbesserungen bei der Evaluation zu Gesundheitsfolgen und Auswirkungen auf den Schwarzmarkt seien nun vorgesehen. Damit würde es weitere Möglichkeiten für Nachsteuerung geben. Das Gesetz bringe neue Chancen und es sei „richtig einen neuen Weg einzuschlagen“

Pilsinger-Pils

Stephan Pilsinger (CSU), der Arzt und CSU-Abgeordnete aus München bezeichnete das Gesetz als Ausdruck „abstruser Identitätsthemen“. Mit „Kiffen und Geschlechterwechsel“ würde die Ampel Deutschland zum „Gespött der ganzen Welt“ machen. Pilsinger habe auch mal ein Praktikum in der Psychiatrie gemacht. Dort habe er junge Menschen gesehen, die vor ihrer Erkrankung Cannabis konsumiert hätten. Dies sei eine „Versündigung an der Jugend“ des Landes. Auf die Zwischenfrage der FDP zu seinem Wahlwerbebier und der Aussage, dass „man schließlich nur einmal lebt“, entgegnete Pilsinger, dass dies kein Geheimnis und auch kein Argument sei.

Er warf der Ampel vor, dass sie neue Wahlklientel bei Dealern suchen würde. Seinen Unionskollegen Müller, toppte er noch mit der Rechnung von über „75 Joints pro Tag“ und rückte den Konsum in direkte Nähe zum Schwarzmarkt. Auch die Zwischenfrage von Carmen Wegge zur Unterscheidung von Dealern und Konsumenten konnte Pilsinger nicht beirren: „Das ist ein Dealer-Schutz-Gesetz“ Er forderte weniger Drogen und kündigte an, dass die Union das Gesetz wieder abschaffen werde: “Bald ist Bubatz wieder illegal“.

Gras auf dem Mond

Es passt kein Blatt Gras zwischen Union und AFD bei dieser Debatte. Polemik, Falschinformation und ein verzerrtes Weltbild fern jeglicher Sachlichkeit bestimmten die Diskussion der vehementen Legalisierungsgegener. Aber auch in den Reihen der Ampel ist man vorsichtig geworden. Bei aller Dramatik für den historischen Moment, ist das CanG in seiner jetzigen Form noch nicht der endgültige Wurf. Ob und wann die angekündigten Modellprojekte für eine kommerzielle Produktion und Abgabe kommen werden, bleibt weiterhin offen. Und auch das heute beschlossene Gesetz ist trotz Votum im Bundestag weiter in der Schwebe.

Denn damit Cannabis am 01. April endlich legal wird, muss das Gesetz vorher noch durch den Bundesrat. Und dort drohen die Innenminister der Länder mit einer Ablehnung und damit auch mit langwierigen Verzögerungen im Vermittlungsausschuss. Eine Mondlandung sieht anders aus. Aber immerhin kann man auf dem Mond schon jetzt legal Cannabis besitzen und konsumieren. Ob das auch bald in Deutschland der Fall sein wird, bleibt weiter offen. Das wissen die Abgeordneten der Ampel und das weiß auch Karl Lauterbach. 

Die komplette Parlamentssitzung gibt es hier als Video

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