Grafik einer Weltkarte

Legalisierung und Recht – Eine Analyse

Verletzt Deutschland mit einer Legalisierung von Cannabis das Völkerrecht?

Es ist eine weitere Zeitenwende, die sich ankündigt. Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland setzt einer fast 100-jährigen Verbots-und Verfolgungspolitik ein wohlverdientes Ende. Die Cannabisregulierung in Deutschland geht bis zur Niederlage des Ersten Weltkrieges zurück. Mit dem Versailler Vertrag hat sich die Weimarer Republik zur Ratifizierung des Opiumabkommens von 1912 verpflichtet. Nach mehreren Verschärfungen im Völkerbund, verabschiedete der Reichstag 1929 den Vorläufer des heutigen BtMG, das sogenannte Opiumgesetz, wonach Cannabis erstmalig einem grundsätzlichen Erlaubnisvorbehalt unterlag und in der Folgezeit gänzlich illegalisiert wurde. Mit internationalen Verträgen und Abkommen beteiligte sich die Bundesrepublik auch weiter an einer Verfolgung von Cannabis. Hierzu zählen u.a. das Einheitsabkommmen von 1961 mit einem Zusatzprotokoll von 1972, das Wiener Übereinkommen von 1988 und der EU-Rahmenbeschluss von 2004. Im Fokus stehen hier der gemeinsamen Kampf gegen Organisierte Kriminalität und Drogenschmuggel.

In der aktuellen Diskussion um das CanG tauchen immer wieder Vorbehalte und Verweise auf rechtliche Rahmenbedingungen auf, die eine Legalisierung nicht zulassen würden. Hierbei ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Gesetzen, Verträgen, Abkommen und der Rangfolge der Rechtsebenen zu unterscheiden. Internationales Völkerrecht und die UN Konvention von 1988 auf der einen und das Europarecht mit der Rahmenentscheidung von 2004 auf der anderen Seite. Was sind die Streitpunkte und Argumente?

Foto eines Mädchens mit einer Europaflagge vor einer Menschenmenge

EU: Die Öffnungsklausel

Deutschland ist über die europäische Verträge an den Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 gebunden. Dieser legt die Vorschriften strafbarer Handlungen im Bereich des illegalen Drogenhandels fest. Einschlägig für die Diskussion zur Legalisierung ist hier Artikel 2:

(1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgende vorsätzliche Handlungen unter Strafe gestellt werden, wenn sie ohne entsprechende Berechtigung vorgenommen wurden: a) das Gewinnen, Herstellen, Ausziehen, Zubereiten, Anbieten, Feilhalten, Verteilen, Verkaufen, Liefern — gleichviel zu welchen Bedingungen —, Vermitteln, Versenden — auch im Transit —, Befördern, Einführen oder Ausführen von Drogen; b) das Anbauen des Opiummohns, des Kokastrauchs oder der Cannabispflanze; c) das Besitzen oder Kaufen von Drogen mit dem Ziel, eine der unter Buchstabe a) aufgeführten Handlungen vorzunehmen; d) das Herstellen, Befördern oder Verteilen von Grundstoffen in der Kenntnis, dass sie der illegalen Erzeugung oder der illegalen Herstellung von Drogen dienen.

(2)  Die Handlungen nach Absatz 1 fallen nicht in den Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses, wenn die Täter sie ausschließlich für ihren persönlichen Konsum im Sinne des nationalen Rechts begangen haben.”

EU Rahmenbeschluss 2004/757/JI 

Die Strafrechtlerin Prof. Masha Fedorova und ihr Kollege Prof. Piet Hein van Kempen von der Radboud Universität forschen seit Jahren intensiv zu Rechtsfragen in Bezug auf Cannabis und haben ein umfassendes Standardwerk hierzu herausgegeben. In ihrem Aufsatz “Cannabisregulierung durch die ‘Ohne Berechtigung’-Klausel in Artikel 2 Absatz 1 des EU-Rahmenbeschlusses 2004/757/jha über den illegalen Drogenhandel” vom März 2023, führen sie aus, dass der entsprechende Absatz durchaus die “Einführung eines Systems nationaler Lizenzierung von Cannabis für den Freizeitkonsum” ermöglicht. Dies gilt ihrer Ansicht nach aber nur dann, wenn “dieses System keine grenzüberschreitenden Auswirkungen” hat und die Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung anderer verbotener Drogen nicht beeinträchtigt wird.

Die Völkerrechtler Khan und Landwehr geben in ihrem Essay “‘Legalisierung!?’ – Chancen und Herausforderungen für die Regulierung von Cannabis nach europäischem Recht” vom April 2023, der Frage nach, ob Legalisierung legal ist. Sie geben einen Überblick zur Geschichte der Cannabisregulierung seit dem 19. Jahrhundert und stellen zur Absicht der EU-Regelung fest, dass diese das Ziel verfolgt den illegalen Drogenhandel zu bekämpfen. Dies wäre aber bei dem aktuell geplanten Modell eben nicht der Fall:

“Das vorgeschlagene deutsche Lizenzmodell ist natürlich das genaue Gegenteil des illegalen Drogenhandels. Den Anbau und Verkauf von Cannabis durch ein streng reguliertes staatlich lizenziertes System als „illegalen Drogenhandel“ einzustufen, würde die Bedeutung dieser Begriffe auf den Kopf stellen. Für jeden Nichtjuristen erscheint dies so offensichtlich und klar, dass es keiner weiteren Erklärung bedarf.”

Khan/Landwehr: Legalisierung?, 2023

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich in seinem Gutachten “Unionsrechtlich eröffnete Regelungsfreiheiten der Mitgliedstaaten im Bereich Cannabis” im Sommer 2023 mit den Frage zur Vereinbarkeit von EU-Recht und Legalisierung beschäftigt. Hier wird Art. 2. Abs. 2 alsÖffnungsklausel in das nationale Recht” bezeichnet, mit der die Mitgliedstaaten “selbst bestimmen” könnten, was sie unter rechtmäßigen oder unrechtmäßigen Handlungen verstehen. Ebensowenig ist eine Definitionshoheit durch den EuGH vorgesehen, der ein einheitliches Verständnis vorgeben könnte. Hierdurch ergeben sich nach der Lesart des Wissenschaftlichen Dienstes gewisse “Entkriminalisierungsspielräume”.

Auch der Strafrechtsprofessor Kai Ambos stimmt dieser Deutung zu. Vorrang habe Europa und dort werde die Gesundheitspolitik der einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten nicht von Brüssel vorgegeben. Genau hier gebe es den Ansatz für einzelstaatliche Entscheidungsfreiheit:

Anders kann dies auch gar nicht sein, gibt es doch in den EU-Mitgliedstaaten bekanntlich unterschiedliche drogenpolitische Ansätze und ist Deutschland nicht der erste Mitgliedsstaat, der eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums durchführen will. Die EU wird dem also kaum im Weg stehen, die Angst vor einem Vertragsverletzungsverfahren ist unbegründet. Natürlich spricht das nicht dagegen, auch innerhalb der EU auf eine gemeinsame, liberalere Politik hinzuwirken.

Ambos: Entkriminalisierung, 2022

UN: Der unkündbare Vertrag?

Anders als die erwähnte EU-Richtlinie, enthält das UN-Völkerrecht keinen Öffnungsparagrafen und bietet damit deutlich weniger Spielraum. Weder Legalisierung, Entkriminalisierung noch Toleranz für den Freizeitkonsum sind unter den Regelungen des “Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen” von 1988 möglich. Allerdings bindet die UN-Konvention die Strafbarkeit von Drogendelikten an die Verfassungsprinzipien und das Rechtssystem der jeweiligen Einzelstaaten. Im Jahr 1993 hat Deutschland eine Vorbehaltserklärung zur flexiblen Interpretation bei der Ratifizierung abgegeben.

Dies könnte nach Auslegung von Kempen und Fedorova die völkerrechtliche Prohibitionstür zumindest einen spaltweit öffnen. Das Argument würde lauten, dass “Schadensminimierung inzwischen zu einem Grundkonzept des Rechtssystems geworden ist und dass die beabsichtigte Regulierung von Cannabis auf Schadensminimierung und Gesundheitsschutz beruht.” Auch die bisher gescheiterte Verbotspolitik könnte als Zeuge auftreten und darauf verweisen, dass trotz Illegalität der Cannabiskonsums nicht zurückgeht und unregulierte Cannabisprodukte durch Verunreinigungen und erhöhte THC-Werte immer gefährlicher werden.

Ein möglicher Ausweg, um Freizeit-Cannabis innerhalb der Grenzen des Völkerrechts zu regulieren, könnte also darin bestehen:

(1) die UN-Betäubungsmittelkonventionen kündigen;
(2) von den Verpflichtungen der UN-Konventionen auf der Grundlage positiver Menschenrechtsverpflichtungen abweichen;
(3) eine intersequentielle Vereinbarung zwischen gleichgesinnten Staaten schaffen, die von den UN-Konventionen abweicht; und
(4) die UN-Drogenkonventionen zu kündigen und anschließend mit einem Vorbehalt wieder darauf zuzugreifen, der eine Regulierung von Freizeit-Cannabis ermöglicht.”

Kempen/Fedorova: Cannabisregulierung, 2023

Eben diesen Weg kritisiert Völkerrechtsprofessor Bernhard Wegener in seinem Gutachten für die Bayerische Staatsregierung. Er bezieht sich hierbei jedoch auf ein umfassendes Legalisierungskonzept, was weit über die Regelungen des aktuellen CanG-Entwurfs hinausgeht. Gleichwohl bleiben die rechtlichen Bedenken in Bezug auf das Völkerrecht. Denn Deutschland ist nicht nur einzelstaatlicher Vertragspartner in der UN Konvention, sondern auch die EU als Ganzes hat den Vertrag unterschrieben. Eine Umgehung durch Austritt aus der Konvention ist seiner Meinung nach so nicht möglich. Wegener erwartet jedoch keine Konsequenzen und vermisst vordergründig Klarheit bei der rechtspolitischen Kommunikation der Koalition. Seine Kritik ist somit weniger politisch, sondern betrifft eher ästhetisches Rechtsempfinden. Dies wiederholte er zuletzt auch in seiner Aussage im Gesundheitsausschuss:

“Sanktionsmöglichkeiten im engeren Sinne gibt es nicht. Deutschland wird nicht mit harten völkerrechtlichen Sanktionen rechnen können. Allerdings werden die UN-Drogenorgane einen Verstoß Deutschlands feststellen; wie sie das schon in anderen Fällen getan haben. Die Kanadier haben klar erklärt, dass das ein Völkerrechtsverstoß ist und dass sie das in Kauf nehmen. Deutschland versucht sich um diese Klarheit herumzudrücken. Das ist völkerrechtliche Augenwischerei.”

Wegener: Anhörung im Gesundheitsausschuss 2023

Der Europa- und Völkerrechtsprofessor Daniel Thym sieht noch einen andere Möglichkeit. Seiner Meinung nach könnte der Weg der Legalisierung über den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg führen. Mögliche Rechtsblockaden könnten:

den EuGH dazu verleiten, die europa- und völkerrechtlichen Bedenken mit einer mehr oder weniger überzeugenden Begründung beiseite zu wischen. Doch auch das umgekehrte Ergebnis ist denkbar. Wenn die Politik zögert, nahm Luxemburg schon häufiger das Heft des Handelns in die Hand und sorgte mit klaren Worten für eine einheitliche Marschroute. Ein Urteil, das die deutsche Drogenpolitik kassiert, könnte ein Weckruf für ein gemeinsames Handeln sein.

Thym: Weg zur Legalierung, 2022

Aber es ginge sogar noch radikaler: Der EUGH könnte das bestehende Cannabis-Verbot als unvereinbar mit dem Privatleben nach Art. 8 Grundrechtscharta einstufen und so eine Legalisierung von Cannabis kraft EU-Rechtsprechung schaffen. Der Verweis auf Grundrechte als Hebel für eine Legalisierung wird in ähnlicher Form auch von der Bundesregierung gebraucht. Jedoch sind nicht alle Seiten mit dieser Ansicht einverstanden. Auch das Bundesverfassungsgericht bekräftigte jüngst seine Vorbehalte gegen ein Verfassungs- oder gar Menschenrecht auf Rausch.

Doch nicht nur Kanada verstößt gegen die Konvention. Auch Uruguay fühlt sich seit 2013 nicht mehr an die Vorgaben des Vertrags gebunden. Bolivien hat das Abkommen 2009 sogar gänzlich aufgekündigt, um später unter Vorbehalt wieder beizutreten. Und auch auf internationaler Ebene findet ein politischer Wandel zur Einstellung und Einstufung von Cannabis statt. Die UN-Suchtstoffkommission hat Cannabis bereits 2020 neu bewertet und von der Liste gefährlicher Drogen gestrichen. Auch wenn dies keiner Legalisierung gleichkommt, stellt es doch einen bedeutenden Schritt in der internationalen Drogenpolitik dar. Die EU-Kommission hat sich dieser Sichtweise angeschlossen und ebenfalls für eine Herabstufung gestimmt. Da Ungarn trotz Mehrheitsbeschluss der Union dagegen votierte, läuft seit Februar 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren.

Europa- und völkerrechtliche Verpflichtungen können also auch zur Einschränkung der Prohibitionsbefürworter angewandt werden. Unterdessen werden die Stimmen einer akzeptierenden Drogenpolitik auch jenseits europäischer Vertragsbürokratie immer lauter. In ihrem Bericht von 2021 fordert die Weltkommission für Drogenpolitik ein Ende der Prohibition und stellt eine problematische Verbindung zwischen Recht und Politik fest, denn in der “Drogenpolitik trägt das Völkerrecht selbst einen Großteil der Verantwortung dafür, dass es der Welt nicht gelingt, sich auf rationale und humane Weise mit dem Drogenkonsum zu befassen”.

Deutschland: In der Grauzone?

Sind das CanG und damit auch Anbauvereine bzw. Cannabis Social Clubs (CSCs) rechtskonform? Ja, bei Auslegung zum erweiterten persönlichen Gebrauch im Sinne der EU Verordnung. Nein, im Sinne der UN-Drogenkonvention. Robin Hofmann bezeichnet die Vereine daher als Lösungsversuch im Legalisierungsdillema, sieht diese aber weiter im europarechtlichen Graubereich.

Eine Legalisierung – so wie sie von der Ampelregierung im Koalitionsvertrag angedeutet und in der Folge lange diskutiert wurde, scheint juristisch unhaltbar. Nicht ohne Grund wurden die Planungen eingestampft und Unterstützer, wie Gegner, sprechen durchaus treffend über eine Legalisierung light, die im Kern vor allem eine Entkriminalisierung darstellt. Dies scheint der aktuelle politische Maximalkonsens vor dem Hintergrund einer weiterhin restriktiven internationalen wie europäischen Rechtslage zu sein. An diesen Rädern zu drehen, ist nicht nur für die deutsche Mehrparteinenkoalition auf absehbare Zeit eine Nummer zu groß. Hierfür ist die politische Spaltung im Inland und auch in der europäischen Gemeinschaft bei vielen anderen kontroversen Themen zu tief. Zu weit sind Länder wie Polen und Ungarn davon entfernt, eine Innereuropäische Legalisierung zu unterstützen, bei der ein grenzüberschreitender Binnenmarkt geschaffen werden könnte.

Für KonsumentInnen sind das gleichzeitig schlechte und gute Nachrichten. Die Legalisierung in Form eines mehr oder weniger freien Verkaufs und verstetigten kommerziellen Modellprojekten und Fachgeschäften (Säule II) wird wahrscheinlich rechtlich und politisch sehr schwierig umzusetzen sein. Die Legalisierung in Form einer Entkriminalisierung für den Eigenkonsum mit privatem und gemeinschaftlichem Anbau (Säule I) wird kommen – und sie wird bleiben.

Empfehlung zur Rechtsgeschichte von Cannabis:

Helena Barop: Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden, 2023
Lorenz Böllinger: Abriss der Geschichte des Cannabisverbots, in: Cannabis und Cannabinoide in der Medizin, 2020
Hügel/Junge/Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht. Recht des Verkehrs mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen, 2022

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