Carmen Wegge kann nicht gärtnern

Es liegt ein leichter Dunst in der Luft, als nach fast zwei Stunden Diskussion im Leipziger Osten einmal mehr alle bekannten und unbekannten Punkte zum geplanten Cannabisgesetz (CanG) ausgetauscht waren. Im prasselnden Regen stehen, dicht gedrängt, einige BesucherInnen der Podiumsdiskussion vor der Tür eines Eckhauses am Neustädter Markt und riskieren einen ersten Versuch der versprochenen Freiheit unter den Augen der örtlichen Polizeiführung. Markanter Geruch dringt ins Innere des Saals im Pöge-Haus. Nicht legal, aber in unklaren Grenzen toleriert – ein Gefühl, das sicher viele KonsumentInnen nur zu gut kennen.

Eingeladen hatte die SPD in den Leipziger Osten, um über „Grünes Licht für Cannabis“ zu sprechen. Wahrscheinlich hatten sich die Veranstalter bei Vorbereitung eine bessere Stimmung gewünscht. Denn nach dem ursprünglichen Zeitplan hätte das geplante Cannabisgesetz (CanG) bereits in dieser Woche, am 16.11.2023, vom Bundestag beschlossen werden sollen. Doch nach einer kurzen Mitteilung vom Freitag zu einer erneuten Verzögerung wurde diese Hoffnung jäh enttäuscht. Daran konnte auch das prominent besetzte Podium am Montagabend nichts ändern. Neben den SPD-Bundestagsabgeordneten Carmen Wegge und Holger Mann war auch DHV-Geschäftsführer Georg Wurth anwesend. Auf der anderen Seite saßen der Leiter der Polizeidirektion Leipzig, René Demmler, und der Fachreferent von der Aktion Jugendschutz Sachsen, Uwe Killisch.

Drei Schritte zur Legalisierung

Carmen Wegge, als Gesicht der SPD-Legalisierung seit Monaten unterwegs, gab erneut die Kernpunkte des bisherigen Entwurfs wieder: Prohibition funktioniere nicht, Konsumzahlen steigen, 100% Schwarzmarkt mit organisierter Kriminalität und gefährlichen Beimischungen, keine Qualitätskontrolle und Strafverfolgungsrisiko für KonsumentInnen machten einen neuen Weg im Umgang mit Cannabis notwendig. Die Ampel will einen europarechtssicheren Weg mit der Legalisierung beschreiten und das Gesetz noch in diesem Jahr im Bundestag beschließen. Hierfür ist die letzte Sitzungswoche zwischen 11. und 15. Dezember vorgesehen. Wichtig sei die Entkriminalisierung als erster Schritt, um „legale Wege für KonsumentInnen zu ermöglichen“, damit KonsumentInnen dann nicht mehr auf „irgendeinen Scheiß“ vom Schwarzmarkt angewiesen seien. Im Anschluss solle dann die so genannte 2. Säule folgen, mit der in Modellregionen Fachgeschäfte mit kommerziellem Verkauf betrieben werden und eine wissenschaftliche Begleitung stattfinden soll. In einem dritten Schritt soll das Europarecht geändert werden, um eine vollständige Legalisierung zu erreichen.

Hierfür sei das EU-Parlament das erste Mittel, indem dort ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wird. Da aber bald Wahlen in Straßburg anstehen, sind die Mehrheitsverhältnisse für eine europäische Legalisierung ungewiss. Wegge sieht Probleme bei der Umsetzung der umfangreichen Kontrollauflagen. Viele der kleinteiligen Regelungen seien durch die Polizei nur schwer oder gar nicht zu kontrollieren. Allerdings arbeite der Bundestag weiterhin an Lösungen und Vereinfachungen. Das Herz der Juristin schlägt indes für die Anbauvereine, die sie jenseits des Europarechts in einer Grauzone des Eigenbedarfs sieht. Dort soll neben dem Privatanbau die legale Versorgung mit einer „eher sozialistischen Lösung“ erprobt werden. Erst in Säule 2 kämen dann die Einnahmen durch gewerblichen Verkauf und damit auch Steuern, die in die Prävention fließen sollen.

Ratlosigkeit

René Demmler, Leiter der Polizeidirektion Leipzig, kann dem geplanten Gesetz nur wenig abgewinnen. Er erkennt zwar an, dass eine Legalisierung für eine bestimmte Anzahl Menschen gut sein wird. Jedoch hat er Zweifel, wieviele der KonsumentInnen sich bei dem geplanten Modell an Recht und Gesetz halten werden und ob der Schwarzmarkt in nennenswertem Umfang zurückgehen wird. Er könne zwar den Zwischenschritt für eine Legalisierung light aus rechtlichen Gründen verstehen, sieht aber aus Polizeiperspektive keine sinnvolle Handhabe zur Umsetzung: „Da sind wir etwas ratlos, wie wir das Gesetz vollziehen sollen.“ Die Überwachung von Anbauorten, Mengengrenzen und Mindestabständen werde polizeilich sehr schwer: „Ich glaube, dass viele Ziele nicht erreicht werden, außer dass der Konsum ermöglicht wird.“ Außerdem mache Cannabis nur ca. 3% der gesamten Ermittlungstätigkeit in der Polizeidirektion aus. Die Konsumdelikte seien überschaubar, aber der Aufwand für die Verfolgung von illegalem Handel würde bleiben. Eine nennenswerte Entlastung für die polizeilichen Aufgaben könne er so nicht erkennen und stellt die Frage, warum die Entlastung der Polizei überhaupt ein Argument für die Legalisierung sein müsse.

Prävention

Uwe Killisch von Aktion Jugendschutz Sachsen mag sich auch nicht so recht über eine Legalisierung freuen und stellt fest, dass diese zusätzliche Risiken für Kinder und Jugendliche mit sich bringen würde. Sein Argument: „Wenn der Staat es erlaubt, dann ist es nicht so schlimm.“ Das gleiche wäre auch bei Alkohol und Nikotin der Fall. Daher brauche man keine zusätzliche Substanz, von der eine weitere Gefährdung ausgehe. Zusätzlich sieht er Probleme bei der Präventionskampagne des Bundes, die Rolle der Präventionsbeauftragten in den Anbauvereinen sei unklar und außerdem gebe es keine Schutzgarantie im Fall eines Eigenanbaus. Auch die Frage der Eigenverantwortung ist für ihn überstrapaziert, da die „Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen zeigt, dass das bei Alkohol und Tabak nicht funktioniert.“ Denn bei Jugendlichen sei es mit der Eigenverantwortung schwierig. Das gleiche gelte seiner Meinung nach auch für bestimmte Erwachsene, die durch den Konsum ebenfalls in ihrer Verantwortlichkeit eingeschränkt seien. Seine Forderung: Kinder- und Jungendschutz braucht mehr Geld und Unterstützung. Auch ohne Cannabislegalisierung.

Bürgerrechte

Für Georg Wurth hingegen geht die Entwicklung in die richtige Richtung, aber der Weg sei noch weit. Die Prohibition habe nichts gebracht. Die Konsumzahlen steigen, obwohl Deutschland einer der repressivsten Staaten in ganz Europa sei. Gerade die Verfolgung trotz Mindermengenreglung sei ungerecht und die Legalisierung damit auch eine Bürgerrechtsfrage. Es gebe keine medizinischen Gründe, warum Cannabis verboten sein müsse. Im Gegenteil: „Die Pflanze selbst ist im Rohzustand nicht psychoaktiv und der Schwarzmarkt hat nur negative Folgen für die Konsumenten. Der Verbraucherschutz ist bei Illegalität schlicht nicht möglich.“ Insgesamt hält er das Gesetz für zu repressiv und kritisiert die übertriebenen Strafandrohungen. Auch das Konsumverbot in den Clubs hält Wurth für unrealistisch. Die Probleme mit dem Europarecht hätten außerdem dafür gesorgt, dass das CanG „regelrecht paranoid“ mit den Anbauvereinen umgehe. Alles, was nach Gewerbe aussehe, sei daher übermäßig eingehegt.

Meinungsstarke Diskussion

Gestritten wird außerdem über die Erfahrungen nach der Legalisierung in Kanada, die Frage, wie viel Prozent Rückgang von Schwarzmarkt einen Erfolg darstellen, Unklarheiten bei Grenzwerten im Straßenverkehr und die praktischen Herausforderungen für den gelingenden Eigenanbau. Beim Thema Führerschein und Grenzwerte im Straßenverkehr sei indes immer noch das Verkehrsministerium am Zug. Dort gebe es inzwischen eine neue Kommission, die im Laufe des ersten Quartals 2024 einen neuen Grenzwert für Cannabis festlegen soll. Auch einige Cannabis Social Clubs waren zu Gast und haben sich meinungsstark an der Diskussion beteiligt. Weiterhin ungeklärt bleiben trotz mehrerer Rückfragen Details zu Mengenbegrenzung, Anbau und Definitionen im Gesetz. Darunter die Frage ob die Mengenbegrenzung im trockenen oder nassen Zustand gemessen werde, wie sich das in der Praxis für Menschen die Anbau betreiben auswirke und welche Teile der Pflanze nun genau wie auf welche Mengengrenzen angerechnet werden.

Viel Rauch um nichts?

Was bleibt nach einer weiteren Diskussionsrunde zum Thema? Carmen Wegge hat in den letzten Monaten viel über Anbau gelernt, kann es sich aber nicht selbst vorstellen. Georg Wurth fühlt sich von falsch zitierten Studienergebnissen getriggert. Die Polizei hat nichts gegen Cannabis, solange sich die Leute an das Gesetz halten und der Kinder- und Jugendschutz ist unterfinanziert. Viel Neues ist das vielleicht nicht. Aber genau wie beim CanG ist auch hier wenig immer noch besser als gar nichts.

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