Sächsische Atombombe gegen Cannabis und Rechtsstaat

Es ist schon ein altes Elend mit diesem Bundesland im Osten der Republik. Denn anders als Vladimir Putin muss Michael Kretschmer noch lästige Wahlen gewinnen. Aber ein Landesfürst ist eben kein Zar. Und in Ermangelung von Atomwaffen droht er mit dem Vermittlungsausschuss (VA) beim geplanten Cannabisgesetz (CanG). Und SPD und Grüne in Sachsen? Fallen auf die Drohgebärden hinein.

Der grüne Landeslistenparteitag in Chemnitz war gerade vorbei, als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer zum Handy griff und in Trumpscher Manier einen Post bei Twitter (jetzt X) absetzte. Den Donald-Ton hat er nicht ganz getroffen, dabei war er in seiner Ablehnung gegen Rechtsstaat und demokratische Verfahrensweisen sehr nah am populistischen Vorbild. Sachsen wird im Bundesrat für den Vermittlungsausschuss stimmen, damit das CanG darin zu Tode verhandelt wird. Entrüstung, Empörung, Diskussion und Retweets. Für Kretschmer hat sich die politische Trollaktion gelohnt. Denn die Mechanik des Internets funktioniert: Innerhalb kurzer Zeit wurde der Tweet mehr als eine Million mal gesehen und unzählige Kommentare tragen seine Botschaft weiter und machen damit kostenlose Wahlwerbung.

Michael Kretschmer: Ganz sicher kein Freund von Konstantin Grubwinker

Scheinbar reicht es der Sachsen-CDU nicht mehr, nur gegen ungewollte Ausländer und andere unliebsame Gruppen zu polarisieren. Auch die Betonung der besonders freundlichen Beziehung zu Russland zieht nicht mehr. Was liegt dann näher, als noch eine Schippe Gras auf den Kulturkampf draufzulegen? Also, liebe Freunde der Union: schnappt euch ein Pilsinger Pils und wählt die Alternative für Cannabis! Es darf verwundern, dass das eigentlich so angeblich tolerante Sachsen besonders heftig auf Cannabis reagiert, war doch immerhin die industrielle Hanfproduktion in den ehemals sozialistischen Staaten bis in die späten 1980er Jahre weit verbreitet. Es gäbe also auch hier genug historische Anknüpfungspunkte um die Wende zu vollenden. Nicht so in der Dresdner Staatskanzlei. Dort hat man sich für eine Neuauflage eines heimattreuen Abwehrkriegs entschieden. Michael Kretschmer mimt unterdessen die tragische Figur in einem Schmierentheater ganz nach bayerischer Mundart.

Ursprünglich ist er als ungewählter Nachfolger für Stanislaw Tillich ins Amt des Ministerpräsidenten gerutscht und seitdem stets bemüht mit vielen BürgerInnendialogen beständig den Kontakt zum Volk zu halten. Doch in Sachsen kommt der verständnisvolle Landesvater nicht mehr an. Seine CDU wird von einem mächtigen AFD-Landesverband herausgefordert und Kretschmer weiß, dass eine Niederlage im kommenden Wahlkampf auch sein eigenes politisches Ende bedeuten könnte. Daher versucht er ähnlich erfolgreich wie Friedrich Merz die AFD zu kopieren, während er gleichzeitig vehement die Brandmauer verteidigt, die er mit Brandbomben bewirft. Getreu Franz Josef Strauß: Rechts neben der Union darf es keine erfolgreiche populistische Partei in Sachsen geben.

Von alledem sind die Grünen weit entfernt. Bei der letzten Landtagswahl konnte man 8,6 Prozent der Stimmen erzielen und zog so als stärkster Juniorpartner – noch vor der SPD (7,7 %) – in die Regierung unter der CDU (32,1 %) ein. Die Belohnung für jede Menge Grundsatzkompromisse waren zwei Ministerien (Justiz und Landwirtschaft) und der Anspruch, aktiv gestaltend in die Landespolitik eingreifen zu können. So weit so gut. Wenn da nicht die miesen Ampelwerte aus Berlin und andauernden Regierungskrisen in Dresden wären.

Der grüne Slogan für die anstehende Landtagswahl (“Hier für das moderne Sachsen“) führt die selbsterklärten Kernerfolge vor: “Weltoffen, Ökologisch, Gerecht”. Doch mit den Stimmen aus den Städten ist ein erneuter Wahlerfolg allein nicht zu erreichen. Ein progressives Wählerreservoir gibt es aber nur dort. Auf dem Land hingegen steht ein traditionell konservativer Block, der zwischen CDU und AFD eingekeilt ist. Der Kuchen ist zwar verteilt, aber noch nicht gegessen. Wem kann es da verwehrt sein, von den Krümeln zu träumen? Überdies droht mit der Wagenknechtpartei ein neues politisches Angebot, das nicht nur von Linken und AFD Stimmen abziehen wird, sondern auch von Bündnis90/Die Grünen.

Relative Stimmenmehrheiten der Zweitstimmen bei der Landtagswahl 2019

Also, was tun? Staatstragend und bürgerlich als moderate Modernisierungskraft auftreten. Wenig polarisieren. Keine Identitätspolitik. Kompromissbereit und mit Blick auf die nächste Regierung hinarbeiten. Und das bedeutet im besten Fall eine Fortsetzung des Bestehenden. Und hier liegt der eigentliche Kern der grünen Modernisierung für Sachsen: dafür zu sorgen, dass alles beim Alten bleibt. Denn für die Grünen wird es keine andere Form der Regierungsbeteiligung geben. Das Ziel ist damit klar. Möglichst starker Juniorpartner im Kabinett Kretschmer III werden. Die Alternative wäre entweder eine Koalition der CDU mit der AFD oder eine CDU-geführte Minderheitsregierung. Oder gar das grüne Scheitern an der 5-%-Hürde für den Wiedereinzug in den Landtag. Die Alternative ist also keine Alternative. In bester Adenauer-Manier muss sich die Partei damit der Union andienen: Keine Experimente wagen.

Ob dieser Plan aufgeht, wird sich im September zeigen. Insgesamt wirkt es befremdlich zu beobachten, wie die CDU die AFD kopiert und die Grünen die CDU kopieren. Am Ende freut sich das Original und richtet zumindest in Gedanken schonmal die Ministerialbüros ein.

Aber ein klein wenig Juniorpartner-Demokratie-Anstand ist noch erlaubt. Die grüne Justizministerin gibt sich empört auf Kretschmers Post und bekräftig – fast so, als würde sie über einen Neonazi-Angriff auf ein alternatives Jugendzentrum sprechen: “Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem Gesetze und Regeln gelten. Der Vermittlungsausschuss und auch das Kabinett sind keine rechtsfreien Räume.” Der Missbrauch des VA und die Blockade von Gesetzen sei nicht grundgesetzkonfom. Und ihr Kabinettskollege, Landwirtschaftsminister Wolfram Günther, meint: “Einen Vermittlungsausschuss mit dem Ziel, das Cannabis-Gesetz zu verhindern, wird es mit uns Bündnisgrünen im Bundesrat nicht geben.” Wenn man sich dazu nicht in der Regierung einigen könne, dann würde sich Sachsen enthalten. Das klingt nach moralischem Punktsieg. Aber was bedeutet es nun genau? Wenn die CDU etwas netter formuliert, dann stimmen wir dem Vermittlungsausschuss vielleicht doch zu? Auf Instagram konkretisieren die Bündnisgrünen ihre aktuelle sächsische Cannabispolitik und brühen dabei erneut längst widerlegte Justizüberlastungsmärchen auf:

Es ist eine schlagende Logik: Der VA soll verhindert werden, um CanG zu retten. Dafür müsse die Amnestie-Regelung vom Gesetz getrennt werden. Was wohl nur im VA möglich sein wird, außer man schenkt der CDU einen politischen Elfmeter. Die Grünen sagen also: Wir sind gegen den VA und deshalb sind wir für den VA, damit der VA das CanG nicht verhindert. Außer wenn Kretschmer das CanG im VA verhindern will, dann sind wir gegen den VA und auch gegen die Trennung der Amnestie vom CanG. Die Bundesvorsitzende Ricarda Lang ist weiter für das CanG, mag aber nicht sagen, was sie den Grünen in den Ländern sagt.

Alles klar? Sind das die Auswüchse einer akademisch-urbanen Hyperrealität in der ostdeutschen Postdemokratie oder hat hier etwa jemand gekifft? Es geht ums Ganze fürs CanG. Es geht aber auch ums Ganze für Sachsen.

Sachsen wackelt. Es ist ein Bundesland, das vieles gleichzeitig will und muss. Und am Horizont droht das Schreckgespenst des völkischen Populismus. Da bleiben Widersprüche am besten unwidersprochen. Denn wer will schon diskutieren, wenn die Demokratie in Gefahr ist? Und in der Zeit der Polykrise gibt es eben Wichtigeres als Grünzeug. Dieses schwere Opfer werden die Grünen sicher lange nicht vergessen – und die Wählerinnen und Wähler auch nicht.

Nachtrag vom 19.03.2024:

Petra Köpping hat im Namen der sächsischen SPD reagiert und ihre Haltung zum Vermittlungsausschuss geändert:

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