„Das größte Suchtproblem ist Alkohol“

Die Verabschiedung des Cannabisgesetzes war bis zum Schluss eine Zitterpartie. Trotz Blockadeversuchen im Bundesrat wurde das CanG verabschiedet und ermöglicht ab 01. April eine Entkriminalisierung von Cannabis. Die grüne Landtagsabgeordnete und drogenpolitische Sprecherin Petra Čagalj Sejdi sieht die Anstrengungen ihrer Partei im Gesetz bestätigt und hofft auf mehr Mittel zum Gesundheitsschutz. Ein Gespräch über Anbauvereine, Sachsen, Suchtprävention und Hans Christian Ströbeles Fahrrad.

Greenkeepers: Das CanG kommt. Wo haben sich grüne Positionen durchgesetzt und wo nicht?
Petra Čagalj Sejdi: Wir haben verschiedene Verbesserungen in das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis verhandelt, die Abstandsregelungen für Konsumverbote wurden auf Sichtweite (100 Meter) reduziert. Die erlaubte Menge aus dem Eigenanbau wird auf bis zu drei Pflanzen und auf 50 Gramm erhöht und klargestellt, dass die Grenze sich auf die getrocknete Menge bezieht. Zudem wird das Gesetz frühzeitiger und umfassender evaluiert, um Auswirkungen auf Gesundheits- und Jugendschutz sowie die organisierte Kriminalität zu erfassen. Wir erleichtern den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken, indem ein Erlaubnis- statt eines Ausschreibungsverfahrens etabliert wird. Zuletzt ändern wir die Fahrerlaubnisverordnung und verhindern, dass schon der gelegentliche Konsum von Cannabis zur Anordnung einer MPU führen kann. Einer Kriminalisierung durch die Hintertür von Millionen Konsumierenden wird so der Riegel vorgeschoben.

Welche Rolle haben aus Ihrer Sicht die Anbauvereine? Und wie kann gewährleistet werden, dass die Vereine nicht zu Tode kontrolliert werden?
Die erste Säule sieht vor den privaten Besitz und den Anbau zu entkriminalisieren und die nichtkommerzielle Abgabe von Cannabis an Erwachsene durch Anbauvereinigungen zu ermöglichen. Zielführend ist hierbei, die legalen Zugangswege so attraktiv auszugestalten, dass den kriminellen Dealern der Boden entzogen wird. Der Dealer auf dem Schwarzmarkt fragt nicht nach dem Ausweis. Die kontrollierte Abgabe durch Anbauvereinigungen ist eine Möglichkeit, den Jugendschutz effektiv durchzusetzen, da diese nur erwachsene Personen als Mitglieder aufnehmen. Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren können in Anbauvereinigungen nur Cannabis mit geringem THC-Anteil erhalten. Die Anbauvereinigungen müssen sich an die gesetzlichen Rahmenbedingungen halten, was den Anbau und die Abgabe von Cannabis betrifft. Sie nehmen eine zentrale Rolle ein, den Jugendschutz sicherzustellen indem sie Mitgliedschaften streng kontrollieren  Aber auch bei der Kontrolle von Qualität und THC-Gehalt werden Anbauvereinigungen den Konsument:innenschutz zu gewährleisten.

Können Bündnis90 / Die Grünen in Sachsen ein Cannabis-SEK nach bayerischem Vorbild verhindern?
Wir würden es auf jeden Fall mit aller Kraft versuchen zu verhindern. Aber das Innenministerium ist in CDU-Hand, es ist immer schwer in die Entscheidungen des Ministeriums einzugreifen, welches man nicht selbst führt. Am Ende hat Herr Schuster hier die Entscheidungsmacht – zumindest in dieser Legislatur.

Wie sollte eine künftige Prävention in Bezug auf Cannabis funktionieren? Und an welchen Stellen gibt es Nachholbedarf? Welche Rolle kommt hier dem Freistaat zu? Wo müssen Angebote und finanzielle Unterstützung geschaffen werden?
Wir brauchen grundsätzlich eine bessere Finanzierung von Suchtprävention und -hilfe. Es braucht mehr Angebote, besonders außerhalb der großen Städte. Es braucht daneben aber auch mehr Niedrigschwelligkeit. Schon jetzt ist es so, dass nicht alle von Sucht betroffenen Menschen über Möglichkeiten und Angebote Bescheid wissen oder sich nicht trauen ein solches zu besuchen. Was diese Angebote betrifft müssen aber auch andere Suchtmittel und Süchte dabei betrachtet werden, besonders auch was das Thema Alkohol angeht. Fachkräfte im Gesundheitswesen, in der Suchthilfe, bei der Polizei und in der Justiz benötigen Schulungen, um mit den neuen gesetzlichen Regelungen umgehen zu können. Es ist wichtig, dass Hilfe und Unterstützung von allen Seiten stigmatisierungsfrei und schnell gegeben wird. Es wird wichtig sein, die Auswirkungen der Regulierung auf die Gesellschaft und die Gesundheit zu überwachen. Der Freistaat sollte daher in Forschung und Datenerhebung zum Gesundheits- und Jugendschutz, zu Konsumgewohnheiten und soziale Folgen investieren.

Hat Sie die Äußerung von Petra Köpping zur Verzögerung aufgrund von Vorlauf bei der Beratungs- und Präventionsarbeit überrascht? Warum wurden diese Stellen in Angesicht von seit Jahren steigenden Konsumzahlen nicht schon längst aufgebaut und finanziert?
Ja das frage ich mich auch. Der Bereich ist unterfinanziert – an uns lag es in den letzten Jahren nicht, wir haben immer wieder versucht die Gelder im Haushalt zu erhöhen, haben aber immer nur geringe Erhöhungen erreicht. Das Sozialministerium wollte die Wichtigkeit nicht sehen.

Sachsen scheint in Bezug auf Cannabis gespalten. Einerseits wird industrielle Medizinalproduktion befürwortet und andererseits soll der legale Freizeitkonsum stark eingeschränkt werden. Ist Sachsen unter diesen Vorzeichen bereit für Säule II?
Schwer zu beantworten, ich denke es braucht noch einiges für Säule zwei, allem vorangestellt die gemeinsame Bereitschaft auf den beteiligten politsichen Seiten. Ich erlebe als Sozialpolitikerin besonders im Sozialministerium hier sehr viel Zurückhaltung. Ich kann mich nur erinnern, wie schwer es war in den Haushaltsverhandlungen mehr Geld für Suchthilfe und -präventionsangebote zu erreichen, da zeigte sich auch, dass das Thema hier nicht an erster Stelle steht. Hinzu kommt die Starke Gegenhaltung des Innenministeriums. Vor diesem Hintergrund ist und bleibt es in Sachsen schwer.

Ärgert Sie die verbissene Weltanschauungsdiskussion um Drogen allgemein und insbesondere bei Cannabis? Was müsste getan werden, um eine Versachlichung und einen möglichst vorurteils- und angstfreien Dialog zu ermöglichen?
Mich ärgert das und ganz besonders ärgert mich, dass immer mit zweierlei Maß gemessen wird was die Substanzen angeht. Eines der größten Suchtprobleme in Sachsen ist Alkohol. Die Gefahr von Alkohol wird aber nicht ansatzweise so diskutiert – hier geht man sogar im Gesetz davon aus, dass ab 14 Jahren eine Konsumentenmündigkeit vorhanden ist – bei Cannabis derzeit undenkbar. Ich wüsche mir in der Politik aber nicht nur hier eine Versachlichung. Es ist allgemein sehr unsachlich geworden, es wird viel zu oft mit Angst und Hass gearbeitet. Das vergiftet den Diskurs und ist gefährlich. Wir brauchen hier meiner Meinung nach also einen ganz grundsätzlichen Richtungswechsel.

Was würde Hans-Christian Ströbele zur aktuellen Diskussion rund um Cannabis sagen? Würde er vor Schreck vom Fahrrad fallen?
Ich glaube er wäre sehr verärgert, aber erschreckt oder überrascht hätte es ihn nicht, er ist lange genug im politischen Geschäft gewesen, um zu wissen wie so etwas läuft. Wie Parteien, und Interessenvertreter versuchen Entscheidungen zu verzögern und zu verhindern und er kannte auch die politischen Gegner genau. 

Wo stehen wir in 10 Jahren? Wird es die Gesellschaft schaffen, einen unverkrampften Umgang mit Cannabis zu führen? Oder macht die nächste Regierung unter dem Kanzlerduo Merz/Söder alles wieder rückgängig?
Wenn das Gesetz jetzt in die Praxis geht, dann kommt Ruhe rein und es wird für alle, die damit Stimmung machen wollen uninteressant. Dann schaffen wir es in 10 Jahren einen unverkrampften Umgang zu haben. Wenn sich das Thema aber bis in den Bundestagswahlkampf reinzieht, dann besteht die berechtigte Gefahr, dass es rückgängig gemacht werden könnte.

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